Montag, 19. September 2011

Bettine von Arnim auf Reisen

Die Kunst stand für Bettine von Arnim im Mittelpunkt, doch wurde sie von den Zeitgenossen nicht als Künstlerin wahrgenommen. Sie war eine adlige Frau, die singen, zeichnen und schreiben konnte und ansonsten reichlich hysterisch war. Mit anderen Worten: Eine von vielen. In ihren schier endlosen Briefen, die sie zu Literatur ausbaute, beschrieb sie ihr Leben. Dabei fällt vor allem eines auf: Die Frau befand sich ständig auf Reisen und sie fand das normal.

Bei der Lektüre der Briefe ist mir bewusst geworden, wie mobil doch bestimmte Bevölkerungsschichten im 19. Jahrhundert waren. Neben den großen Migrationsbewegungen nach Amerika und der allgemeinen Landflucht waren viele weitere Gruppen, ja ganze Berufsstände auf holprigen Straßen unterwegs. Da gab es die allgegenwärtigen Händler, Militärs und Missionare auf dem Weg in ferne Kolonien und wieder zurück, Handwerker auf ihrer Gesellentour, erste Touristen auf Studienreise, Forscher, Künstler und den Adel.

Der europäische Adel besaß überall verstreut große und kleine Schlösser und Gutshöfe mit mehr oder weniger umfangreichem Umland, aber er hatte kein Heim, kein zu Hause. Die Häuser standen oft leer und wurden nur von wenigen Dienstboten instandgehalten. Die Besitzer reisten stattdessen mit der ganzen Familie oder auch getrennt vom Ehepartner mit einem mobilen Hausstand. Die Ehefrauen blieben dann keineswegs allein zu Hause zurück, sondern reisten ebenfalls. Oder besser gesagt: Sie zogen ständig um. Es gab eine kontinuierliche Veränderung des Wohnortes.

Warum ziehen Menschen, die doch so schöne Häuser besitzen und sonst nichts weiter zu tun zu haben scheinen, ständig um?
In Bettine von Arnims Fall gab es mehrere Gründe. An erster Stelle stand die innere Zerrissenheit, wo es den nun am schönsten, anregensten und auch am gesündesten sei. In der Stadt oder auf dem Land? Von Arnim pendelte prinzipiell zwischen beiden Entitäten.
Hinzu kam der wechselnde finanzielle Hintergrund, der sie zum Umzug vor allem innehalb der Städte zwang. Hier entschied sie sich eher für eine größere Wohnung (unter 10 Zimmern ging es nicht) als für ein warmes Heim mit Dienstboten, gutem Essen und aufwändiger Kleidung. Da war wohl mehr Schein als Sein.
Eine dritte Kategorie bildeten Besuche, längere Ausflüge und Kuraufenthalte. Man könnte sagen, naja, das sind doch eher klassische touristische Reisen. Doch nein, ein moderner Tourist würde sich nicht monatelang bei Freunden oder Familienmitgliedern einnisten und dort am alltäglichen Leben mit allen Pflichten teilnehmen. Es fanden also auch hier tatsächliche Umzüge statt.

Die Reisen selbst werden nur selten in Bettine von Arnims Briefen thematisiert. Man erfährt nicht, ob die Kinder mitkommen, ob Bedienstete dabei sind. Im Mittelpunkt des Schreibens stehen die literarisierten Abenteuer vor Ort und ein intensiver Einblick in Gedanken und Gefühle der Autorin. Ein reiches Leben breitet sich vor einem aus, ein Leben, in dem man vieles wiederfindet, in dem vieles aber auch sehr fern und märchenhaft wirkt. Diese Mischung machen die Briefe für mich heute so spannend. Sie sind lebendiges Zeugnis einer vergangenen Kultur.

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