Samstag, 24. September 2011

Reisebriefe aus Irland

Hermann von Pückler-Muskau galt bei seinen Zeitgenossen als exzentrisch. Um in einem Gespräch an ihn zu erinnern, erzählte man sich gern die Anekdote, in der er vier Hirsche vor eine Kutsche spannte und einen Nachmittag lang über die Straße unter den Linden in Berlin fahren ließ.

Er war auch einer der ersten echten Touristen. Dabei zog es ihn nicht in den Süden, wo sich die Intellektuellen und Künstler seiner Zeit in antiken Träumereien am Strand rekelten und zwischen Ruinen dem Klassizismus fröhnten. Nein, von Pückler-Muskau reiste 1828 ins nasse, windige Irland. Ein halbes Jahr dauerte seine Reise und er schrieb beinahe täglich mehrere Druckseiten lange Briefe, adressiert an seine Freundin Julie. Die Briefe wurden 1830 erstmals anonym in drei Bänden als „Die Briefe eines Verstorbenen. Ein fragmentarisches Tagebuch aus England, Wales, Irland und Frankreich, geschrieben in den Jahren 1828 und 1829“ gedruckt. Mir liegen sie in einer Auswahl als „Reisebriefe aus Irland“, herausgegeben von Therese Erler bei Rütten & Loening, 2. Auflage, Berlin 1979 vor. Schon der originale Titel spricht für den Exentriker in von Pückler-Muskau: Er ist keinesfalls während der Irland-Reise gestorben, unternahm später noch viele Reisen in Deutschland und Italien und lebte bis 1871 fort.

In seinen Briefen stellt sich er jedoch seltsam vernünftig dar.  Er reist von Dublin quer durchs Land nach Galway und an der Südküste zurück nach Dublin. Diese Route ist auch bei heutigen Irland-Reisenden noch sehr beliebt. Sehr touristisch erkundet von Pückler-Muskau die Gegend, zieht mit der Postkutsche von Ort zu Ort, wohnt in Gasthäusern und Privatunterkünften und unternimmt Tagestouren zu Fuß oder zu Pferd. Dabei läßt er sich meist von irischen Jungen von 10-12 Jahren führen.

Hier erhält er einen kleinen Einblick in das Leben der Iren des frühen 19. Jahrhunderts. Das Land war von sehr großer Armut und Hunger geprägt, wenn auch die Große Hungersnot noch ein paar Jahrzehnte auf sich warten sollte. Auffällig ist der gutmütige, doch herablassende Blick auf die Iren. Von Pückler-Muskau spricht von ihnen als den Wilden und Eingeborenen. Er liebt es, Nationalmentalitäten aufzustellen. So ist der typische Ire versoffen, rauflustig, vergnügt und nimmt das Leben trotz aller Strapazen leicht. Der Abstand zwischen dem Reisenden und den ihn umgebenen Menschen bleibt trotz aller Gastfreundschaft groß.

Das zeigt sich auch in der Begegnung mit den gehobenen Klassen, die von Pückler-Muskau ausschließlich als Engländer identifiziert. An ihnen lässt er kein gutes Haar. Sie seien altmodisch, oberflächlich, parteiisch und loyal bis zur Absurdität. Tatsächlich bluteten die Engländer das Land systematisch aus.

Dennoch wandelt von Pückler-Muskau sehr gern durch ihre großzügigen Parkanlagen und isst an ihren großen gutgedeckten Tafeln. Die ironischen Bemerkungen in den Briefen bleiben anonym. Namen von Gastgebern und dem zugehörigen Landsitz werden grundsätzlich nur mit Initialien angegeben.

Diese Vorgehensweise macht es dem heutigen Leser nicht leicht, die Reiseroute im Detail zu verfolgen. Nichtsdestotrotz macht es Spaß, die Briefe zu lesen. Sie sind angefüllt mit Abenteuern und Anekdoten. Märchen und Legenden spielen eine große Rolle. Über viele Seiten werden sie detailliert ausformuliert und tragen zur unheimlichen Atmosphäre, die sich noch durch die romantisierten Landschaftsbeschreibungen verstärkt, bei.

Hermann von Pückler-Muskau ist heute nahezu unbekannt. Längst sind die Iren eine emanzipierte Nation. Keiner würde sie heute mehr als „wild“ bezeichnen. Aber die Tourismusindustrie zehrt noch immer an den Vorgaben des 19. Jahrhunderts, was die Nationalmentalitäten betrifft. Von Pückler-Muskau drückte dem Bild von Irland seinen Stempel auf und man kann ihn noch immer finden, wenn man es denn will.

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